Interview

Geistesblitze sind genauso materiell wie ein Stuhl

Ein Gespräch mit Bettina Munk über John Cage, Intuition und Quantenphysik
Von Carmela Thiele

Wann hast du dich erstmals mit John Cage befasst und warum?

Ich beschäftige mich mit Cage, seitdem ich mich mit Quantenphysik beschäftige. Ich fand es interessant, dass ich bei meiner Auseinandersetzung mit dem Zufall auf einen anderen Künstler zurückgehen konnte. Ich habe gemerkt, dass ich in der Tradition seines künstlerischen Konzeptes arbeite. Sein Umgang mit Komposition und Zufall hat mich begeistert. Ich kannte schon einiges von ihm, aber wirklich für mich entdeckt habe ich ihn erst 2004. Als die Akademie der Künste Berlin dann 2012 eine Ausstellung zu Cage machte, bat mich die Projektleiterin Angela Lammert etwas beizutragen. Und dann habe ich Kompositionen von Cage in eine Zufallsarbeit von mir eingearbeitet.
Cage geht zurück auf Zen und das I Ging, ich gehe zurück auf die Erkenntnisse aus der Quantenphysik. Es ist interessanterweise kein großer Unterschied. Das muss kein Widerspruch sein. Ich bin der Auffassung, dass die gleichen Erkenntnisse öfter in der Weltgeschichte passiert sind. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass das I Ging per Intuition von Erkenntnissen über das ganzheitliche Prinzip der Natur handelt. Das I Ging, das Buch der Wandlungen, ist nicht irgendein Wahrsagebuch, sondern meines Erachtens ein fundiertes Erkenntnisbuch. Es ist nur zu einer anderen Zeit entstanden, es resultiert aus einer anderen Geisteshaltung.

Hat das parallele Arbeiten an Zeichnungen und Computeranimationen deine Weltanschauung und Haltung zur Kunst beeinflusst?

Eigentlich nicht. Es war nicht so, dass ich etwas programmiert habe und dann sah das plötzlich ganz anders aus. Mich hat im Gegenteil fasziniert, dass es dann auch so aussieht, wie ich es mir wünsche, dass ich Bilder durch Skripte erzeugen kann. Das fand ich am programmierten Code immer am faszinierendsten. Es gibt viele, die schon vor mir mit Code gearbeitet haben, Code ist Schönheit, Code ist Wahrheit. Man kann etwas Stimmiges für sich herstellen, allein durch Codierung.

Wo bleibt da der Zufall?

Es ist so, dass ich durch die Zufallsmodule den Zufall herstellen kann. Ich hatte mir gewünscht, die Komposition aus der Hand zu geben. In der Animation übergebe sie dem Zufallsmodul, das hat mich fasziniert. In der Zeichnung ist es etwas anderes, da ich an der Zeichnung näher dran bin. Ich würfle sie aus, wie man früher Schicksale auswürfelte und vorhersagte. In der Animation, die dann auch bewegt ist, gebe ich das komplett aus der Hand.

Gibt es Phasen, in denen du nicht programmieren willst, sondern zeichnen?

Ja, sicher. Es gibt Phasen, da habe ich das Sitzen am Computer satt. Da möchte ich wieder Papier und Bleistifte riechen. Das Studio hat immer einen bestimmten Duft. Ich stehe manchmal auf und sage: Heute will ich den ganzen Tag zeichnen und dann tue ich das auch mit großem Genuss. Dazu braucht man eine bestimmte Haltung. Wenn ich nicht die richtige Haltung habe, dann gelingen mir die Zeichnungen nicht, obwohl ich die Positionen auswürfle.

Welche Rolle spielen deine freien Zeichnungen, die Notate?

Die Notate kommen daher, dass ich auch plötzlich aufkommende Ideen aufzeichnen möchte. Das sind kleine Skizzen, ganz anders als meine systematischen Zeichnungen. Die gehen zurück auf meine ursprünglichen Zeichnungen. Schon als kleines Kind hatte ich Lust, meine Welt zu beschreiben: Wind im Wald, Wasser, das fließt. Das Zeichnen, die Notate, verbinden mich mit meinem Selbst.

Deine Notate wurden im Kontext der Psychoanalyse, des Surrealismus interpretiert . Wie siehst du das?

Für mich sind die Notate mit intensiven Momenten verbunden. Wir haben ja schon über Intuition gesprochen, und dass der Begriff mit dem Geniebegriff verbunden wurde. Ich finde, man sollte ihn davon lösen. Intuition existiert wirklich, Genie ist eine Konstruktion. Intuition ist etwas, was man erlebt, wenn es passiert. Man kann es unterschiedlich beschreiben. Einer meiner Lieblingsphysiker, Wolfgang Pauli, hat Bewusstseinsinhalte als wesentlich und sogar als existentes Moment beschrieben, das wie materielle Teilchen funktioniert: Gedanken und Ideen entstehen spontan und fallen als Einfälle ins Bewusstsein. Er schlägt vor, auch das Auftreten von Ideen und Gedanken Phänomene zu nennen, ebenso wie Töne, Farben, Tasteindrücke. Er hat den Begriff sozusagen auf die physikalische Ebene gehoben, was ich natürlich interessant fand. Geistesblitze sind in letzter Konsequenz genauso materiell wie ein Stuhl.

Wieso ist es für dich als Künstlerin so wichtig, dass es diese Analogie in der Physik gibt?

Weil man mit dem Geniebegriff auch die Intuition abgeschafft hat, ich sie aber erlebe. Ich kann die als subjektiven Eindruck abtun, oder ich kann sagen, da gibt es den Wolfgang Pauli, der sagt, das ist wirklich existent, was ich erlebe. Dass, wenn ich übereinstimme mit einer Zeichnung, dass das kein Ideechen in meinem Kopf ist, ein subjektiver Eindruck, sondern etwas, dass eine Ausprägung in meinem Körper hat, in meinem Gehirn, und vielleicht mit noch was ganz anderem zu tun hat. Also nicht nur mit etwas Subjektivem, Konstruiertem, Überliefertem, sondern mit etwas, was wirklich existiert. Und dieses Existieren, diese Beschreibung eines Vorgangs hat Pauli interessiert. Er sagt, Theorien, also Entdeckungen, kommen zustande durch ein vom empirischen Material inspiriertes Verstehen, ein Zur-Deckung-Kommen von inneren Bildern mit äußeren Objekten.
Es ist also nicht etwas, was sich Herr Pauli ausgedacht hat, sondern was wirklich existiert. Das hat mich fasziniert, dass das ein Physiker sagt, der ansonsten mit Formeln umgeht, die ich nicht oder nur ansatzweise lesen kann.
Es ist ja das berühmte Pauli-Verbot, wofür er den Nobelpreis bekommen hat. Der hat nämlich rausgefunden, warum wir nicht durch unsere Stühle fallen, wenn wir drauf sitzen, weil die Elektronen, die zu einem Proton gehören, sich nicht gleichzeitig im gleichen Zustand befinden können. Pauli hat den Sinn des Spin entdeckt . Die Photonen dagegen, Laser zum Beispiel, können sich energetisch bündeln. Wenn alles Materielle aus Photonen wäre, würden wir da durchfallen. Und dieses Pauli-Verbot müssen wir erst mal denken können. Pauli konnte das ja nicht so einfach messen. Die Physiker vom Anfang des 20. Jahrhunderts saßen an ihren Holztischen und haben so etwas Unanschauliches wie die Quantenphysik entwickelt. Das ging nur mit Intuition.

Wenn du den Begriff der Intuition auf deine frühen Raumkonstruktionen anwenden würdest? Das waren ja auch intuitive Entscheidungen, die du herausgefordert hast.

Das stimmt. Wahrscheinlich war das damals schon alles enthalten, doch hatte ich noch kein Augenmerk dafür. Das ist eben so eine Entwicklung, die man macht. Damals habe ich linear gedacht, heute denke ich komplexer. Ich glaube, der Zufall, das Wesen der Information und deren Verbundenheit, über die ich heute nachdenke, ist einfach ein komplexer werdender Gedanke, den ich in seinen Grundzügen schon in den achtziger Jahren hatte. Damals habe ich ja diese Labyrinthe gebaut. Das war einfacher, eine Entscheidung für links oder rechts. Ja, eigentlich habe ich damals schon auf Intuition gesetzt, aber es noch nicht formuliert.

Das Prozesshafte war dir wichtig?

Zeit ist ja auch immer eine wichtige Komponente meiner Arbeit gewesen. Erfahrungen kann man ja nur in der Zeit machen. Intuition ist aber durchaus etwas, was blitzartig passiert. Ich glaube, dass jeder das schon mal erlebt hat, was ein Geistesblitz ist. Wenn man ganz lange über etwas nachdenkt und nirgendwo hinkommt, und am nächsten Tag wacht man auf und hat es. Vielleicht hat das Gehirn schon die ganze Nacht weitergearbeitet, es kann aber auch sein, dass man gar nichts denkt. Und dann sieht man irgendetwas, und irgendetwas vollkommen anderes fällt einem ein. Intuition beruht auf Erfahrung. Wenn man keine Erfahrung hat, kann man auch keine Intuition haben.

Mir ist aufgefallen, dass du in der Zeit der Raum-Installationen sehr intensiv mit dem Publikum zusammengearbeitet hast. Im Grunde war die Arbeit nur existent, wenn da jemand durchgegangen ist.

Ja.

Und dann gab es die Räume, in denen du mit dem Gegensatz von Hell und Dunkel gearbeitet hast. Paradoxerweise konnten die Leute im Dunkeln Begriffe lesen, die du mit Hilfe von Leuchtfarbe sichtbar gemacht hast. Wenn das Licht anging, hingen nur ein paar Tafeln von der Decke. Auch da hast du Erfahrungen inszeniert.

Interessant ist hier auch das Begriffspaar Information und Erfahrung.
Unser allgemeines Konzept von Information ist ziemlich veraltet. Wir meinen immer, Information liege irgendwo zum Abholen bereit. In Wirklichkeit entsteht Information erst in der Befragung, lehrt die Quantenphysik. Früher, in meinen Durchgängen durch die Labyrinthe bekam man nur diejenige Information, für die man sich intuitiv entschieden hatte. Wenn man jetzt meine Animationen eine Zeit lang betrachtet bekommt man Informationen, die in dieser Zeit der Beobachtung nur so und einmalig entstehen.
Wenn ich meine Animationen ansehe, dann sind das sich selbst organisierende Vorgänge, enn ich arbeite mit Zufallsmodulen. Die sind aber zugleich auch Bilder. So, wie man eine Landschaft zeichnet, die auch nicht die Landschaft ist, so sind meine Animationen auch nicht gleichzusetzen mit den Vorgängen in der Welt. Aber alles passiert durch Zufall, organisiert sich selbst. Natürlich können wir auf lange Sicht durch unser Verhalten in die Natur eingreifen. Aber bewegen können wir sie nicht, das tut sie selbst. Und so ist das mit meinen Animationen auch.
Es ist richtig, dass man durch meine Animationen zum Betrachter wird, nicht mehr körperlich bewegt wird. Das möchte ich in Zukunft aber wieder ändern.

Der Zufall als Äquivalent zum Leben. Es hat für dich also eine ungeheure Faszination, diese Behauptung aufzustellen?

Ja, und die stimmt ja auch. Du erlebst etwas, was so noch niemand gesehen hat. Das ist eine sehr konkrete Form, wenn du so willst. Man könnte natürlich auch Filmschnitte hintereinander setzen und immer neue Abläufe generieren. Das Zeichnen dagegen ist ein ganz anderer Prozess als das Bauen eines Labyrinths, das zum Durchschreiten von Räumen anregt, wo ich als Künstlerin nicht selbst präsent bin, sondern nur die Möglichkeiten vorgegeben habe.
Bei den Zeichnungen stelle ich mich als Person hin, die etwas festhalten will, um etwas in den Griff zu bekommen. Das hat mit der Vorstellung zu tun, dass du dein Leben ordnest, wenn du etwas skizzierst.
Man macht ja aus seinem Leben eine Erzählung. Muss man ja, sonst könnte man das ja gar nicht aushalten, das ganz freie Flottieren von Ereignissen. Und so werden diese Zeichnungen in ihrem seriellen Hintereinander eben auch zu einer Beschreibung eines Versuchs, etwas festzuhalten, was in der Animation unwiederbringlich verschwindet.